Der fol­gende Artikel erschien im Win­ter­magazin 201213 vom Freiluftwerk am 10.2012. Der Orig­i­nalar­tikel mit vie­len tollen Bildern kann als pdf herun­terge­laden wer­den: Berg­steigen in Feuerland

Wo sich Fuchs und Biber gute Nacht sagen

Berg­steigen in Feuerland

Wir, sechs junge Berg­steiger und eine Berg­steigerin [1] machten uns Anfang des Jahres auf den Weg in eine der abgele­gen­sten Gegen­den der Welt: in die Cordillera Dar­win, so heißt die höch­ste Bergkette Feuer­lands. Unser Ziel, der Monte Buck­land, ist eine der schön­sten Berggestal­ten dort am Südzipfel Südamerikas, ein fast 1.800 m hoher Eiszahn, welcher wei­thin sicht­bar aus den umgeben­den Fjor­den her­aus­ragt. Würde dieser Berg in einer etwas zugänglicheren, und weniger wet­terge­plagten Region ste­hen, er wäre schlichtweg ein Traumziel für jeden Berg­steiger. So jedoch scheint es bere­its ein kleines logis­tis­ches Aben­teuer, um nur an den Fuß dieses Berges zu gelan­gen. Erre­ich­bar ist er nur per Boot durch die Kanäle Feuerlands.

Nur ein­mal nahm bisher eine Expe­di­tion diesen beschw­er­lichen Weg auf sich: Ital­ienis­chen Berg­steigern um die bekan­nten Patagonien-​Pioniere Carlo Mauri und Casimiro Fer­rari gelang 1966 die Erst­bestei­gung des Monte Buck­land auf seiner Südwestseite.

Wir woll­ten nun eine neue Route von Nor­den her eröff­nen. Von dieser Seite hat bisher kaum ein Men­sch den Monte Buck­land gese­hen. Lediglich ein Satel­liten­bild und wenige Luftauf­nah­men aus den 1920er und 1950er Jahren ließen unge­fähr abschätzen, welche Ver­hält­nisse unsere Expe­di­tion dort erwarten würde.

BIS ANSENDE DER WELT

Anfang Jan­uar war es soweit: Beim Lan­dean­flug auf Punta Are­nas (Chile) ver­spürte jeder von uns das bekan­nte Kribbeln im Bauch, die leichte Anspan­nung, die sich ein­stellt, sobald etwas Neues, Unbekan­ntes bevorsteht, dessen Aus­gang aber unklar ist. Schließlich ist eine Expe­di­tion in die Cordillera Dar­win ja auch nicht mit einer Hüt­ten­tour in den Alpen zu ver­gle­ichen. Gut eine Woche hat­ten wir für die Vor­bere­itun­gen in der südlich­sten („Groß-“)Stadt der Welt, direkt an der Mag­el­lanstraße gele­gen, benötigt, um alle For­mal­itäten und Einkäufe zu erledi­gen. Gle­ichzeitig kon­nten wir das chilenis­che Leben in Form von Pisco und Rotwein auf­saugen und uns an die etwas langsamer tick­enden Uhren gewöhnen.

Im Anschluss brachen wir Rich­tung Süden auf und erre­ichten nach einer staubi­gen 12h-​Autofahrt schließlich die West­küste Feuer­lands, den Aus­gangspunkt für unser Aben­teuer. Am Hor­i­zont türmten sich die Berge der Cordillera auf, die immer wieder unsere Blicke in ihren Bann zogen. Nach einem entspan­nten und äußerst leck­eren Asado am Abend ver­pen­nte unser Schlauchboot-​Skipper den näch­sten Mor­gen – auch das gehört zum chilenis­chen Lebensgefühl.

Schlussendlich fuhren wir den­noch gen Süden und erre­ichten die Bahía Fit­ton nach 2,5 Stun­den schaukel­nder Überfahrt. Mit einem riesi­gen Haufen Aus­rüs­tung (450 kg) wur­den wir am Strand abge­laden und schauten den zurück­fahren­den Booten mit einem etwas flauen Gefühl hin­ter­her. Die näch­sten 25 Tage wür­den wir auf uns allein gestellt sein, und jegliche Ret­tung im Fall der Fälle würde einen extremen Aufwand bedeuten. Aber genau diese Abgeschieden­heit war es, die wir suchten, fern von All­tag, Rou­tine und Bekan­ntem – ein­fach nur wir inmit­ten ursprünglicher Natur und atem­ber­auben­der Berge.

Apro­pos, Berge – das Ziel unserer Begierde, den Monte Buck­land, kon­nten wir bere­its auf der Überfahrt steil und abweisend durch die Wolken auf­blitzen sehen. Mehr als anderthalb Jahre hat­ten wir für die Vor­bere­itung der Tour benötigt, nun tren­nten uns von seinem Fuße nur noch knappe fünf Kilo­me­ter. Also schul­terten wir jeder die ersten 25 kg Gepäck und schlu­gen uns durch einen schmalen Streifen Küsten­re­gen­wald. Im Anschluss daran fol­gte eine Art offene Wiesen­fläche, die bei jedem Schritt gluck­erte und unsere Schuhe teils knöchel-​, teils waden­hoch mit Wasser und Schlamm umspülte. Nicht zuletzt hat­ten Biber die Land­schaft geprägt, sodass wir ganze Waldge­bi­ete auf zer­nagten Baum­stäm­men bal­ancierend oder von einem zum anderen sprin­gend durch­querten – mit dem schw­eren Gepäck ein ganz beson­derer Spaß.

Am Ende des Tages waren wir völ­lig aus­ge­brannt, aber den­noch froh, nach Stun­den endlich einen halb­wegs vernün­fti­gen Zelt­platz gefun­den zu haben. Die Bilanz des ersten Tages ver­wies auf eine zurück­gelegte Wegstrecke von zwei Kilo­me­tern und einen Höhengewinn von etwa 40 m, das Ganze mit einem Drit­tel des Gesamt­gepäcks! Noch ernüchtern­der war der Weit­er­weg: Links und rechts des Lagers zogen steile Fel­swände unüber­wind­bar in die Höhe und ein reißen­der Wasser­fall schien den Tal­ab­schluss zu bilden.

Um nicht kurz nach der Ankunft bere­its aufgeben zu müssen, bedurfte es einiger Kreativ­ität und Spürsinn. Bewaffnet mit Klet­terzeug und Macheten überwan­den wir nahe dem Wasser­fall eine 30m-​hohe, glitschig bewach­sene Steil­stufe und schlu­gen uns durch das überwöl­bende Dic­kicht und den daran anschließen­den Regen­wald. Mehrere Fehlschläge und der beständig leichte Regen waren wenig motivierend, und den­noch erre­ichte der Spähtrupp ein lauschiges Plätzchen an einem See mit Berg­panorama. Nach ins­ge­samt fünf Tagen hat­ten wir dann schließlich das gesamte Gepäck ins dor­tige Basis­lager geschleppt.

GIPFELSIEG AM MONTE BUCKLAND

In den fol­gen­den Tagen erkun­de­ten wir die Umge­bung und bestiegen einen kleineren Berg, den wir „Monte Bella Vista“ tauften. Die erste Erkun­dung am Buck­land endete etwa 500 Höhen­meter unter dem Gipfel. Unan­genehmes Wet­ter und schlechte Sicht ver­hin­derten einen ambi­tion­ierten Ver­such. Wie beim ersten Anlauf blieb auch beim zweiten Ver­such ein paar Tage später ein Teil der Crew im Lager zurück, teils auf­grund der fehlen­den Erfahrung, aber auch um uns – dem Gipfel­team Robert, Dani & Markus – Rück­endeck­ung zu geben.

Zügig stiegen wir in den Sat­tel am Grat auf, wo auch schon beim ersten Mal unser Hochlager ges­tanden hatte. Wir starteten am Fol­ge­tag nach anfänglichem Schnee­griesel gegen sieben Uhr mor­gens mit blauem Him­mel Rich­tung Gipfel. Auf dem oberen Gletscher­plateau überraschte uns ein erneuter Schneeschauer, und der Blick zum Gipfel wurde immer öfter von Wolken­feldern versperrt. 



Aber vor uns lag nun nur noch die 200 m hohe Gipfelflanke, über deren gesamte Bre­ite sich allerd­ings ein mächtiger Bergschrund zog. Das Umge­hen hätte viel Zeit in Anspruch genom­men, sodass wir uns für die Diret­tis­sima entsch­ieden. Je näher wir der Ver­w­er­fungszone kamen, umso abweisender und schwieriger erschien sie.

Da Robert der Hauptver­fechter der Direk­t­vari­ante war, musste nicht lang um den Vorstieg gekno­belt wer­den. Die unteren Meter wühlte er sich durch tiefen Schnee, und schon bald querte er in teils schlechtem Eis zur Schlüs­sel­stelle hinüber. Der Eisüber­hang hatte es wirk­lich in sich! Weiches, schwer abzu­sich­ern­des Eis, und am Ausstieg fan­den die Eis­geräte keinen Halt auf der oberen Firn­flanke. Irgend­wie mogel­ten wir uns den­noch alle darüber, und in weit­eren drei Seil­län­gen erre­ichten wir kurz nach 19 Uhr den Gipfel [2], ganze 46 Jahre nach der Erstbesteigung!

Gern hät­ten wir unseren Sieg über den Buck­land aus­giebig gefeiert, den unbeschreib­lichen Blick über die Fjord­land­schaft der Cordillera Dar­win in vollen Zügen genossen und den atem­ber­auben­den Son­nenun­ter­gang am Ende der Welt in uns aufge­so­gen, doch irgend­wie hin­derten uns die dichte Wolken­suppe mit etwa 15 m Sicht und der beißende Wind, der unsere Seile in weni­gen Minuten stock­steif gefroren hatte, daran. Wir beschränk­ten uns also auf die so lang ersehnte Gipfelumar­mung und den im Basis­lager erle­ichtert aufgenomme­nen Funkspruch. Der Abstieg gestal­tete sich wesentlich zügiger als erwartet, denn trotz der schlechten Fir­nund Eisqual­ität in der Gipfelflanke kon­nten wir an drei pass­ablen Eis­san­duhren bis unter den Bergschrund abseilen. Unsere Auf­stiegsspuren waren inzwis­chen teils verblasen, teils zugeschneit, und die nahende Dunkel­heit erschw­erte die Wegfind­ung zusät­zlich. Gut 19 Stun­den nach unserem Auf­bruch erre­ichten wir schließlich gegen 2 Uhr nachts die Zelte und ließen uns schlapp, aber zufrieden in die Schlaf­säcke sinken.

ZWIS­CHEN EUPHORIE UND RESIGNATION

Nach dem Abstieg ins Basis­lager störte uns der andauernde Regen, der auch ab und zu als Schnee niederg­ing, für’s Erste nicht wirk­lich. Etwas Zeit zur Regen­er­a­tion kam uns ger­ade recht. Nach dem tollen Erfolg am Buck­land waren wir guter Dinge, weit­ere Berge mit dem gesamten Team bezwin­gen zu kön­nen. Nach­dem es allerd­ings auch im Basis­lager mehrere Tage von früh bis spät durchgereg­net (bzw. geschneit) hatte, warteten wir sehn­süchtig auf Wet­terbesserung. Stattdessen fiel der Luft­druck stetig weiter, und ein Tief­st­stand jagte den näch­sten. Unmut machte sich breit, Langeweile kam jedoch nicht auf. Der anhal­tende Nieder­schlag hatte unsere Zelte unter­spült und ver­langte unsere Fähigkeiten als Kanal­bauer. Als schließlich auch noch die Latrine überlief und die braune Soße sich anschickte, Rich­tung See und Grup­pen­zelt abzu­fließen, kam die Gruppe in Schwung. Ver­ständlich, dass das Motto der let­zten Tage beschrieben wurde mit: „So wenig Spaß für so viel Geld!“.

Der einzig vergnügliche Licht­blick war der Besuch eines wun­der­schö­nen Feuer­land­fuch­ses, der fast ohne Scheu und mit viel Neugierde unser Basis­lager durch­stöberte. Ähnlich dem Fuchs ließen auch wir uns vom Wet­ter jedoch nicht unterkriegen und starteten an einem Mor­gen mit guten Aus­sichten gen Osten. Unser Ziel war ein wilder, noch unbe­nan­nter Sporn in der Haup­tkette nordöstlich vom Monte Buck­land. Am Him­mel tobten die Wolken nach feuer­ländis­cher Manier bizarr durcheinan­der. Die Gruppe war gut drauf und freute sich auf einen gemein­samen Gipfelsieg mit toller Sicht. Beim Überschre­iten der Haup­tkette nach Nor­den hüll­ten sich die umliegen­den Berge jedoch langsam in Wolken, und wenig später tauchten auch wir ein in das dif­fuse Grau. Die umliegen­den Fjorde ver­schwammen im Nebel, und die vor uns liegen­den Gletsch­erspal­ten ver­loren im milchi­gen Schleier an Bedro­hung. Vom Gipfel war noch lange keine Spur, und leichter Niesel ließ die Moti­va­tion sinken. Die Gruppe tren­nte sich in einen uner­schrock­e­nen, vom Erkun­dungs­geist getriebe­nen Teil und einen etwas weniger risikobere­iten, der den Rück­weg antrat. Ersterer fol­gte seiner Intu­ition und bah­nte sich einen Weg über mehrere Steil­stufen in den Sat­tel am Gipfel­grat und erre­ichte den höch­sten Punkt nach einer let­zten bröck­e­li­gen Fel­slänge. Oben angekom­men, bot sich das gle­iche milchige Panorama wie eh und je. Wie tre­f­fend erscheint da der von uns gewählte Name für den Berg: „Monte Niebla“ (dt. Nebelberg).

RÜCK­MARSCH IN DIE ZIVILISATION

Die let­zten Tage hieß es dann erneut, das ein­gangs hochge­buck­elte Gepäck wieder run­terzuwuchten. Zum Glück hat­ten wir inzwis­chen gut 100 kg Trock­en­fut­ter ver­tilgt, und auch den Sprit für die Kocher als auch einige Pfunde Fettpol­ster hat­ten wir ver­brannt. Den­noch brauchten wir zwei Tage, bis das ganze Mate­r­ial am Strand lagerte. Beson­ders die Querung eines Gletscher­flusses hatte nochmal für etwas Aufre­gung gesorgt. War das ursprünglich kniehohe Flüss­chen inzwis­chen bis kurz über den Schritt angeschwollen, so kostete es uns jede Menge Ste­hver­mö­gen, um nicht auf unan­genehmem Wege gen Tal befördert zu werden.

Nicht schlecht staunten wir, als wir am let­zten Tag auf der Hal­binsel bei stahlblauem Him­mel erwachten und in der gesamten Cordillera nicht ein Wölkchen auszu­machen war. Dreiein­halb Wochen hat­ten wir uns durchs Dic­kicht geschla­gen, huf­schwere Aus­rüs­tung umhergeschleppt und delikate Klet­ter­stellen bei mäßigem bis absolutem Dreck­swet­ter überwun­den, nur damit wir am let­zten uns verbleiben­den Tag wie zum Hohn mit dem genial­sten Wet­ter begrüßt wer­den? Es dauerte den ganzen Vor­mit­tag, bis wir uns mit dem Blau arrang­iert hat­ten. Umso mehr Freude bere­it­ete es dann, die Mies­muscheln am Strand aufzus­püren, sie im leck­eren Sud zu köcheln und sie im Anschluss genüsslich schlür­fend zu ver­til­gen. So ein Tag ist hier zum Berg­steigen in der Cordillera wie ein Sechser im Lotto, er kam lei­der dies­mal zu spät, aber vielle­icht wollte er uns auch nur motivieren, irgend­wann wiederzukommen. 


[1]

Expe­di­tion­steam: Robert Koschitzki, Markus Kautz, Daniel Groß, André Kunert, Michael Nadler, Franz Goer­lich und Bar­bara Schmidt (alle DAV Freis­ing /​Dres­den).

[2] Monte Buck­land (1746 m), Neu­tour „Sil­berkon­dor“ (span. Con­dor de
plata), Schwierigkeit: D, Eis bis 90°, meist 60°. Die Tour wurde nach dem 2-​Mann-​Flugzeug namens „Sil­berkon­dor“ benannt, welches Gun­ther Plüschow bei seinen ersten Erkun­dungs­flü­gen am Monte Buck­land im Jahre 1929 gute Dien­ste leistete.
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